Donnerstag, 12. November 2009

Ausschnitte aus Ehsan Fatahians Gelöbnis vor seiner Hinrichtung

(unbedingt lesen)

Das vollständige ins Deutsche übersetzte Gelöbnis kann man auf Julia's Blog (URL: http://englishtogerman.wordpress.com/2009/11/10/ich-hatte-nie-angst-vor-dem-tod-ehsan-fatahians-gelobnis/) lesen. Ich kann sehr empfehlen das vollständige Gelöbnis zu lesen, trotzdem habe ich den Text für diejenigen, die weniger Zeit haben, abgekürzt.

Der letzte Strahl bei Sonnenuntergang/
ist der Weg, auf den ich schreiben will/
Das Geräusch der Blätter unter meinen Füßen/
sagt zu mir: Lass dich fallen/
nur dann wirst du den Weg zur Freiheit finden.

Ich hatte nie Angst vor dem Tod. Selbst jetzt, wo ich seine seltsame und ehrliche Gegenwart neben mir spüre, möchte ich noch seinen Geruch wahrnehmen und neu entdecken; der Tod ist der älteste Gefährte dieses Landes. Ich möchte nicht über den Tod sprechen, ich möchte nach den Gründen dahinter fragen. Wie kann man heute, wo Strafe die Antwort für die ist, die Freiheit und Gerechtigkeit suchen, dieses Schicksal fürchten? Diejenigen von „uns“, die von „ihnen“ zum Tode verurteilt wurden, haben nur eine Öffnung zu einer besseren und gerechten Welt gesucht. Wissen „sie“ auch, was sie tun?

[...] Ich suchte in tausend verschiedenen Richtungen nach den Gründen für Ungerechtigkeit. Aber die Wege für die, die nach Gerechtigkeit streben, waren so blockiert und die Atmosphäre so repressiv, dass ich keinen Weg fand, um die Dinge im Innern zu ändern, und so wandte ich mich woanders hin: Ich wurde ein Kämpfer der Komalah, um meine gestohlene Identität wieder zu finden. Doch ich habe mich nie von meiner ersten Heimat getrennt, und hin und wieder ging ich zurück, um meine Erinnerungen zu beleben. Und eines Tages, während eines meiner Besuche, fanden sie mich und sperrten mich in einen Käfig.

Das Willkommen, dass meine Wächter mir am ersten Tag zuteil werden ließen, zeigte mir, dass mein Schicksal das derer sein würde, die diesen Weg vor mir gegangen waren: Folter, konstruierte Anklagen, parteiische Gerichte, ein ungerechtes und politisch motiviertes Urteil, und schließlich und endlich der Tod.

[...]

In derselben Nacht wurde ich zum Hauptquartier des Geheimdienstministeriums der Provinz Kurdistan in Sanandaj gebracht, wo mir die richtige Party bevorstand: eine schmutzige Zelle mit einem ekelerregenden Bad, die Decken waren seit Jahren nicht gewaschen worden. Dies war der Beginn eines dreimonatigen Lebens zwischen Zelle und Verhörraum, immer unter extremer Folter und Schlägen. Die ehrenwerten Verhörbeamten waren so erpicht darauf, befördert zu werden oder etwas mehr Geld zu verdienen, dass sie mit allen möglichen bizarren Anschuldigungen kamen, obwohl sie wussten, dass sie falsch waren. Sie wandten jedes ihnen verfügbare Mittel an, um zu beweisen, dass ich an einer bewaffneten Operation beteiligt war. Am Ende konnten sie nur beweisen, dass ich ein Mitglied der Komalah gewesen war und bei Propagandaaktionen gegen das Regime mitgemacht hatte.

Die zehnjährige Haftstrafe, die durch das erste Gericht verhängt wurde, ist ein guter Beweis dafür, dass es nur einen Anklagepunkt gegen mich gab. Das Revolutionsgericht in Sanandaj verurteilte mich zu zehn Jahren Gefängnis, abzusitzen im Ramhormoz-Gefängnis außerhalb Kurdistans.

[...] Fälle mit Todesurteilen fielen in die Zuständigkeit des Obersten Gerichts. Der Staatsanwalt von Kamayaran legte also gegen das erste Urteil Berufung ein, und unerwarteterweise wandelte das Berufungsgericht von Kurdistan die zehnjährige Haftstrafe in ein Todesurteil um, was gegen das iranische Gesetz verstößt.

[...]

Lassen Sie mich hinzufügen, dass man mich, kurz bevor mein Urteil in ein Todesurteil abgewandelt wurde, aus dem Sanandaj-Gefängnis in das Gefängnis des Geheimdienstministeriums brachte, wo ich aufgefordert wurde, vor der Kamera ein falsches Geständnis abzulegen, Reue für Dinge zu zeigen, die ich nicht getan hatte und meinen Überzeugungen abzuschwören. Ich habe mich ihren unrechtmäßigen Forderungen nicht gebeugt, also wurde mir mitgeteilt, dass meine Haftstrafe in ein Todesurteil umgewandelt werden würde. Sie hatten es eilig damit, ihr Versprechen einzulösen und mir zu beweisen, dass Gerichte immer den Forderungen des Geheimdienstes und nichtjuristischer Organe nachgeben. Wie kann man da die Gerichte kritisieren?

Alle Richter legen einen Eid ab, in dem sie schwören, jederzeit und in jedem Fall unparteiisch zu bleiben, nach dem Gesetz und nur nach dem Gesetz zu gehen. Wie viele der Richter dieses Landes können von sich sagen, dass sie diesen Schwur nicht gebrochen haben, dass sie gerecht und unparteiisch geblieben sind? Meiner Meinung nach kann man diese Richter an den Fingern einer Hand abzählen. 

Wenn das gesamte Justizsystem in Iran auf Grund einer Handbewegung eines ungebildeten Verhörbeamten Verhaftungen, Prozesse, Haftstrafen und Todesurteile anordnet, was kann man dann von ein paar niederen Richtern in einer Provinz erwarten, die immer diskriminiert wurde? Ja, in meinen Augen ist es das Fundament des Hauses, das in Trümmern liegt.

Als ich den Staatsanwalt, der das erste Urteil erlassen hatte, letztes Mal im Gefängnis traf, gab er zu, dass das Todesurteil illegal war. Und dennoch wurde beim zweiten Mal entschieden, dass meine Hinrichtung ausgeführt werden soll. [...]

Die Leute, die diesen Gruppen angehören, betrachten Leben und Tod eines Gefangenen lediglich auf der Basis ihrer eigenen politischen und finanziellen Interessen. Sie sehen nichts außer ihren eigenen ungesetzmäßigen Zielen, selbst wenn es um das Recht eines Menschen geht, zu leben – das fundamentalste aller Menschenrechte. Wie sinnlos ist es, von ihnen zu erwarten, dass sie internationale Verträge respektieren, wenn sie nicht einmal ihre eigenen Gesetze einhalten?

Ein letztes Wort: Wenn die Regierenden und die Unterdrücker glauben, dass die kurdische Frage mit meinem Tod beendet ist, irren sie sich. Mein Tod und der Tod tausender anderer wie mir wird den Schmerz nicht heilen, sondern nur Öl in dieses Feuer gießen. Es besteht kein Zweifel daran, dass jeder Tod der Beginn eines neuen Lebens ist.

Ehsan Fatahian,
Zentralgefängnis Sanandaj

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