Freitag, 1. April 2011

Das Leben geht weiter im Iran (2); ein Nowruz Geschenk


Wenn ich aus tausenden Kilometern Entfernung vom Iran über den Iran schreibe, bin ich auf Informationen die auf verschiedenen Weisen an mich ankommen, angewiesen. In erster Linie muss ich die Richtigkeit einer Information sicher stellen können. Das ist in der Regel kein großes Problem. Auch wenn man nie zu hundert Prozent sicher sein kann, weiß man welche Nachrichtenquellen zuverlässig und welche weniger zuverlässig sind.
Zur Not kann man auch warten, bis BBC-persisch oder eine andere zuverlässige Quelle eine Nachricht bestätigt. Über dieses Problem werde ich in der Zukunft mehr schreiben, heute schreibe ich über ein anderes Problem. Zusätzlich übersetzte ich Teil eines Artikels über den normalen Alltag im Iran. 


Wenn ich eine Nachricht auswerte und entscheiden möchte, welches Thema wichtiger ist und mit größerer Priorität hier geschrieben werden soll, kann ich mich in der Wichtigkeit der Nachricht täuschen. Es gibt Themen die man als im Westen lebender Iraner sehr ernst nimmt und andere die man weniger ernst nimmt. Reist man in den Iran für ein paar Wochen, merkt man, dass die Atmosphäre doch anders als dargestellt in zuverlässigen Medien und Blogs ist! Nein, diese Blogger Lügen nicht, die Nachrichten stimmen. Aber es gibt unwichtige kleine Informationen, die das wahre Leben im Iran zur Schau stellen. Ich spreche vom Alltag, von hohen Preisen, von illegalen Parties, von einem Sittenpolizisten der bereit ist ein Auge zu zudrücken, von Billardzentren in Irans Städten. Das ist kein neues Thema, das ist ein bekanntes Phänomen. Ein bekannter iranischer Blogger schreibt über einen fiktiven Iraner, der nach langer Zeit den Iran besucht:
" ... wenn er einmal nach Teheran reist, fühlt er sich wie ein Tourist. Er fragt sich verwundert: 'Ich las täglich die Nachrichten über den Iran. Was ist geschehen, dass ich mich hier so fremd fühle?'"
Auf dem obigen Blogbeitrag hat Arman Amiri, ebenfalls bekannter und beliebter (s. DW Blog Awards, collection of craziness) Blogger, reagiert. Er schrieb am 21.1.2011 über seinen Alltag.Teile davon übersetzte ich hier:

"Im Leben fühlt sich jeder Mensch ab und zu alleine. Auch ich war keine Ausnahme, doch in den letzten 18 Monaten war dieses Gefühl mir sehr fremd. Seit langem treffe ich überall bekannte Gesichter, ich kenne jede Person die ich treffe. Auf der Straße, in der Taxi und U-Bahn, bei der Arbeit, im Kino, überall, jeden den ich treffe, ist mir bekannt. Wir alle haben in den letzten Monaten das gleiche erlebt. Seit 18 Monaten schauen wir alle auf das Gleiche. Wir lesen die gleichen Nachrichten. Wir leiden unter den gleichen Problemen und ich glaube, dass wir gleiche Wünsche haben."

"Seit langer Zeit komme ich sehr leicht mit Jedem ins Gespräch. Hier sprechen Viele über die gleichen Probleme, das großte Problem ist 'die Arbeitslosigkeit'. [...]"

"Wir erleben in diesen Tagen eine Freiheit, die wir in dieser Form uns nicht hätten vorstellen können. Genau hier, auf Teherans Straßen und in den schwärzesten Tagen der Putschregierung, habe ich eine Freiheit, dass wahrschlich nicht einmal ein Regierender oder Anhänger der Putschregierung haben kann. An jedem Ort, in jeder Zeit, kann ich über alles sprechen und fühle mich auf Reaktionen von Fremden nicht gefährdet. Ich hatte noch nie so ein Vertrauen auf Fußgänger in meiner Umgebung. Egal wo Sie ankommen, können Sie über alles fluchen. Mit Jung und Alt können Sie über heiße Nachrichten sprechen, über politische Gefangene, Vergewaltigung in Gefängnissen. Am Ende einigen Sie sich darauf, dass 'sie gehen werden' [mit 'sie' ist die heutige Regierung, das System gemeint]. Es kann passieren, dass Sie über Mousavi sprechen und Ihr Gesprächspartner sagt, 'Mousavi ist auch ein Fuchs, sie alle müssen gehen'. Wegen solcher Meinungsunterschiede legen sich die Menschen miteinander nicht an. Als wäre die Einigkeit der Menschen kilometerlang über die politische Spiele gewachsen.  Armut, hohe Preise, Arbeitslosigkeit und tausendundeine weitere Probleme haben uns so sehr vereint, dass wir nicht mehr so leicht zu trennen sind. Vielleicht klingt es übertrieben: auch die Polizei ist ein Teil dieser Einheit: Sie können ganz einfach sich neben eines Polizisten stellen und über die Aktuelle Situation fluchen!"

[...] "Die Sittenpolizei sieht man selten. Haschisch und Esctasy sind für Jugendliche genauso normal geworden wie Zigaretten. Keinem wundert es mehr, eine Masse von Menschen zu sehen, die solche Drogen öffentlich konsumieren. Niemand versucht sie davon abzuhalten. Als ob wären solche Drogen normal und toleriert. Nur das Konsumieren von Crack, die billigste Droge, ist sehr schlecht angesehen, wahrscheinlich wegen seiner dramatischen Nachwirkungen. Trotzdem kann man in jeder Ecke von Teheran täglich einen Crack-Abhängigen finden, dessen Wunden klar infiziert sind."

[...] "Studenten sprechen hauptsächlich über zwei Themen. Das erste Thema ist die Auswanderung. Auswanderung war schon immer ein Thema, heute spricht man aber viel mehr darüber. Das zweite Thema ist Haft und Gefängnis. Als ob es keine Jugendliche mehr gibt, die nicht schon einmal verhaftet wurde; aber es ist kein Grund mehr für Sorge. Je mehr sie [die Regierung] verhaftete, je weniger wurde die Angst davor, verhaftet zu werden."

"Kurz gefasst, es geht uns gar nicht so schlecht. Wir sind bei einander und besuchen einander. Hier verlieben sich noch die Menschen. Ich denke, in einem Land wo die Liebe noch existiert, gibt es noch Hoffnung und Leben."

Das war mein Nowruz Geschenk für die Leser! Ich hoffe, Sie hatten Spaß beim Lesen.

Ähnliche Artikel:
Das Leben geht weiter im Iran

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen